Rechtsextremismus und Kriminalität: Polizeipräsident erklärt Colditz zur „Chefsache“

Auch wenn die Familie N. in Haft sitzt: Die Angst und das Misstrauen in die Sicherheitsbehörden bleiben. Leipzigs Polizeichef René Demmler zeigt sich besorgt und erklärt Colditz zur „Chefsache“.

Jahrelang agierte in der Kleinstadt Colditz ein rechtsextremes Netzwerk, mittendrin: Ralf N. und seine Söhne Uwe und Andreas, die unliebsame Nachbarn mobbten, Punks verprügelten und in der sächsischen Provinz einen Drogenumschlagplatz schufen: Bei einer Razzia im März dieses Jahr fanden Polizei und Zoll Crystal Meth im Wert von einer halben Million Euro, Waffen und Bargeld. Die drei Männer sitzen nun in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft Leipzig hat Anklage erhoben. Doch auch wenn Ralf N. und seine Söhne aus dem Stadtbild verschwunden sind: Bei jenen, die Opfer von Einschüchterungsversuchen und Gewaltausbrüchen wurden, ist immer noch eine gewisse Angst und Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden zu spüren. Das soll sich ändern.

Die Machenschaften der Familie N. sind seit Wochen Thema auf landespolitischer Ebene. Während Experten und Innenpolitiker sich einig sind, dass es sich in Colditz um verfestigte kriminelle und rechtsextreme Strukturen handelt, reagiert das Innenministerium auf LVZ-Anfrage zurückhaltend: Von „möglichen rechtsextremen Strukturen“ ist die Rede. Auf die Frage, wie er die Unsicherheit in der Stadt bewertet, erklärt Innenminister Armin Schuster: Der Polizei ein „Wegsehen und Untätigkeit zu unterstellen, halte ich nicht für gerechtfertigt.“ Der CDU-Politiker verweist auf zahlreiche Anzeigen, die die Polizei in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Familie N. bearbeitet habe. Insgesamt 424 waren es bis zu deren Festnahme.

Polizeipräsident spricht von „Chefsache“

Während Schuster in den Verteidigungsmodus geht, spricht Leipzigs Polizeipräsident René Demmler im Zusammenhang mit Colditz ganz offen über ein „offensichtlich beschädigtes Vertrauen der regionalen Bevölkerung in verantwortliche Institutionen“. Dieses wiederherzustellen, sei für ihn und die Beamten vor Ort „Chefsache“.

Neben dem zuständigen Revier in Grimma gibt es auch in Colditz selbst seit Jahren einen Polizeiposten. Der ist allerdings nur zweimal in der Woche für ein paar Stunden besetzt. Mittlerweile wurde aber die Streifentätigkeit in der Stadt erhöht. Außerdem sind regelmäßig zwei Bürgerpolizisten im Einsatz. Durch den Austausch mit ihnen sollen Menschen wieder Vertrauen fassen und ermutigt werden, Anzeige zu erstatten. Denn auch nach der Festnahme von Ralf N. und seinen beiden Söhnen kommt es immer noch zu Einschüchterungsversuchen und Gewalt.

In Colditz stellt sich auch die Frage der Prävention

Zum Männertag wurden Jugendliche und deren Betreuer von mehreren Personen bedroht. Sie gehören zu einem Projekt der Kinder- und Jugendbeteiligung in Colditz, sammeln Müll in der Stadt – beschäftigen sich aber auch mit NS-Geschichte. Einer der Angreifer warf mit einer Bank nach den Jugendlichen, ein Betreuer wurde mit dem Tode bedroht, das geht aus dem Gedächtnisprotokoll der Betroffenen hervor. Der Staatsschutz der Kriminalpolizei ermittelt wegen des Verdachts der Körperverletzung, der Bedrohung und des Hausfriedensbruchs. Ein politisches Motiv ist also nicht ausgeschlossen.

Doch abseits der Polizeiarbeit stellt sich auch die Frage, wie Sicherheitsbehörden, Stadt und Land den rechtsextremen Umtrieben langfristig beikommen wollen, um auch solche Übergriffe auf Engagierte zu verhindern. Das Innenministerium verweist unter anderem auf das Experten-Netzwerk der Landesdirektion Sachsen. Es soll Kommunen beraten, etwa bei Immobilienkäufen durch Neonazis oder Konzertveranstaltungen. Gedacht war es eigentlich mal als eine Art Frühwarnsystem. Wie wirksam es in Colditz sein kann, gegen jahrelang gewachsene Strukturen, wird sich zeigen.